ORF-Studie: Wie passen Medien & Migration zusammen?

Prof.Dr.Hausjell Aufmacher Bild / Foto:Miel SatrapaDer Studienleiter Professor Dr. Hausjell im Exklusiv-Interview
Werden Migranten im ORF zu selten gezeigt, und wenn nicht kommt es etwa zu einer verfälschten Darstellung? Fehlt in den Redaktionen das Verständnis für fremde Kulturen oder gibt es gar eine öffentliche Ablehnung von Migraten in den Medien? „Eines ist klar: Es fehlt an Sendungen mit aktiver Beteiligung von Österreichern mit Migrationshintergrund.“ so Dr. Fritz Hausjell, Studienleiter der ORF Public Value Migrations-Studie.

Migration und Medien sind Themen, die bei genauerem Hinsehen viel mehr miteinander verbunden sind als es auf den ersten Blick scheint. Dr. Fritz Hausjell, Professor am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien, hat sich im Rahmen einer Puplic Value Studie für den ORF auf Problemfindung und Lösungssuche gemacht.

Medieninsider.at: Sie haben vor kurzem eine Studie, wie Migrantinnen und Migranten in Österreich zum ORF stehen, herausgebracht. Was war das Ziel dieser Studie und was sind die Ergebnisse?
Es waren mehrere Ziele, die wir mit dieser Studie verfolgt haben. Auf der einen Seite wollten wir einmal der Frage nachgehen, wie Menschen mit Migrationshintergrund den ORF mit seinen vielfältigen Angeboten in den Bereichen Fernsehen, Hörfunk sowie Internet sehen. Das kann nämlich durch die üblichen Erfassungsmethoden der Mediennutzung – also Teletest, Radiotest und AIM – nicht bestimmt werden, weil diese MigrantInnen zum Teil entweder nicht erfassen oder jedenfalls nicht separat ausweisen.
Es gab 2007/08 erstmals eine quantitative Studie des ORF, weil die damals neue Führung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks es erstmals zu ihren Aufgaben zählte, zu prüfen, ob der ORF Menschen mit Migrationshintergrund ein ausreichend attraktives Programm anbietet. Die Studie, mit der ich dann beauftragt wurde, war eine Antwort auf die

Prof. Dr. Fritz Hausjell
Prof. Dr. Fritz Hausjell

Ergebnisse dieser erstmaligen Messung, die gezeigt hatte, dass der ORF bei manchen MigrantInnengruppen deutlich schlechter abschneidet als bei anderen sowie der Mehrheitsbevölkerung. Warum das so ist, war dann die Frage. Und dieser sind wir in meinem Forschungsprojekt nachgegangen.

Wie kann man sich den Studienvorgang vorstellen?
In einer Reihe von Fokusgruppen-Gesprächsrunden mit Menschen mit Migrationshintergrund wurde dies intensiv diskutiert. Es hat sich zum einen gezeigt, dass diese den ORF grundsätzlich sehr wohl schätzen und dass der Staatliche Rundfunk von aufstiegsorientierten MigrantInnen, welche die Mehrzahl darstellen, recht gute Noten bekommt. Dass der ORF auf sie zukommt und fragt, was sie stört, wurde besonders positiv aufgenommen. Es wurde aber auch eine Stereotypie in manchen Bereichen der Berichterstattung des ORF bemerkt. Wenn zum Beispiel über den Islam oder auch nur Integration von ZuwanderInnen berichtet wird, dass dann fast reflexartig die Kopftuch-tragenden Frauen ins Bild kommen. Diese sind aber in der Realität die Minderheit in Österreich innerhalb der Muslima.
Auch die Vielfalt der Migrantinnen und Migranten komme in der Berichterstattung viel zu kurz. ExpertInnen mit Migrationshintergrund würden nur zu Wort kommen, wenn es um das Thema Ausländerproblematik geht, obwohl diese sich in vielen anderen Bereichen auskennen. Hier müsse ein Umdenken stattfinden, schließlich betrifft Menschen mit migrantischen Wurzeln ja jedes Thema genauso wie Menschen ohne Migrationshintergrund.
Man hat aber auch wahrgenommen, dass sich der ORF offensichtlich einiges überlegt hat, und frühere Praxen zumindest zum Teil überwunden hat. So fanden sich in früheren Reality-Formaten keine Menschen mit Migrationshintergrund. Heute, zum Beispiel bei „Helden von Morgen“, ist dies nicht mehr der Fall.
Auch die Informationssendung „Wien heute“ wurde positiv bewertet, weil bei den gelegentlich in der Sendung vorkommenden Straßenumfragen ganz offensichtlich jeder dritte Befragte einen Migrationshintergrund hat, den man jetzt nicht eigens hervor hebt, der aber von den migrantischen ZuseherInnen wahrgenommen wird.
Insgesamt fühlen sich MigrantInnen am Bildschirm aber unterrepräsentiert. Was MigrantInnen auffällt, ist, dass zum Beispiel im deutschen Fernsehen der eine oder andere Sender kein Problem damit hat, die Vielfalt der Gesellschaft bei

Zieht Ramesh Nair alias "Der Telering-Inder" Migranten ins Lächerliche?
Zieht Ramesh Nair alias "Der Telering-Inder" Migranten ins Lächerliche?

der Präsentation etwa von Nachrichtensendungen abzubilden, während das in Österreich eher die Ausnahme ist. (Anmerkung: Amira Awad war einst beim Sendestart von Puls 4 die erste österreichische Newsanchorwoman mit Migrationshintergrund.)

Wie können die Probleme bewältigt werden und welche Lösungsvorschläge gibt es?
ExpertInnen mit Migrationshintergrund vermehrt einzusetzen, ist eigentlich keine Schwierigkeit. Da liegt die Verantwortung in den Redaktionen welche nur auf die ExpertInnen zugehen müssen – nicht umgekehrt.
Die Angst auf MigrantInnen zuzugehen, weil sie sich vielleicht nicht entsprechend artikulieren können, muss abgelegt werden. „Wien Heute“ geht da in die richtige Richtung. Für den Journalismus sollte es ja eigentlich selbstverständlich sein, offen zu sein und möglichst vorbehaltlos auf die verschiedenen gesellschaftlichen Verhältnisse zuzugehen.
Eine Idee, die in den Fokusgruppenrunden aufgekommen war, besteht darin, dass Menschen über das Essen zusammen kommen. Kochshows boomen ja seit Jahren im TV: Warum macht man dann nicht eine Show, wo ein bekannter österreichischer Koch andere KöchInnen mit Migrationshintergrund einlädt, die typischen Gerichte aus ihrem Herkunftsland zu kochen. Dies ist dann nicht nur für MigrantInnen interessant, weil ihre Spezialitäten gekocht werden, sondern auch für alle anderen, weil die Herkunftsländer von MigrantInnen ja auch oft beliebte Urlaubsländer sind. Wenn man dort im Urlaub gut gegessen hat, möchten manche auch das eine oder andere Gericht nachkochen.

Eine weitere Idee war, bikulturelle Partnerschaften oder Ehen zum Stoff von Unterhaltungssendungen zu machen. Im „Kaisermühlen-Blues“ gab es eine Geschichte, die in diese Richtung ging. Aber sonst sind diese Dimensionen in den letzten Jahren viel zu kurz gekommen. Auch im neuen „Mundl“-Film wird das Thema Migration recht wenig angerissen. Aber was sind die Gründe dafür? Ist es die Angst, dass ein Teil des Publikums wegbricht, wenn Ungewohntes zum Thema gemacht wird? Wenn das so wäre, hätte die ganze „Mundl-Saga“ nicht funktioniert: Eine Familie aus dem Arbeitermilieu zur Hauptfigur zu machen, war damals in den 70er Jahren ein Tabubruch. Für genau so einen „Tabubruch“ wäre es jetzt wieder an der Zeit. Es gibt immer wieder Formate, die versuchen in die richtige Richtung zu gehen, wie zum Beispiel „Tschuschen Power“ oder „Tatort“-Folgen, die sich mit der Integrationsfrage beschäftigen, die Frage ist jedoch immer, was kommt danach. Es ist nicht so, dass nichts passiert, aber der nächste Schritt muss eine breitere Herangehensweise im nicht-fiktionalen Programmbereich sein.Will man Diversität in den Programmen stärker als bisher sichtbar machen, wird der ORF nicht ohne eine entsprechende Beauftragte oder einen Beauftragten auskommen, insbesondere wenn er sich um Nachhaltigkeit bemühen will. Das ist jedenfalls meine Empfehlung.
Die Weiterentwicklung der interkulturellen Kompetenz bei den Programmverantwortlichen, in den Redaktionen und auf der Programmentwickler-Ebene gehören meines Erachtens zu den notwendigen Maßnahmen. Dies erreicht man durch Weiterbildungsmaßnahmen, stärkere internationale Vernetzung, angeleitete Reflexionen sowie gezielte Rekrutierung neuer MitarbeiterInnen mit Migrationserfahrung. Der ORF hat ja begonnen Menschen mit

Aylin Kösetürk, Österreicherin mit türkischen Wurzeln, gewann den Modelcontest "ANT 2" von Puls 4
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Migrationshintergrund aus der Fachredaktion von „Heimat fremde Heimat“ als MitarbeiterInnen in anderen Redaktionen zu beschäftigen. Nun müssen verstärkt Kräfte aus dem Migrationsbereich als neue MitarbeiterInnen für den ORF gewonnen werden. (Anmerkung: Bei der ORF-Diskussion „Die Türken in Österreich – Ewige Außenseiter?“ live aus dem Wiener Odeon, Anfang des Jahres, wurde mit der türkischstämmigen „Report“-Redakteurin Münire Inam erstmals eine neue Moderatorin mit Migrationshintergrund der breiten Öffentlichkeit präsentiert.)
In den letzten Jahren wurde in diesem Zusammenhang das Argument der mangelnden Sprachbeherrschung gegen MigrantInnen in die Debatte eingebracht. Dies trifft nach meinen eigenen Erfahrungen für die Meisten überhaupt nicht zu. Ich plädiere im Gegenteil dafür, von diesem Negativdenken weg zu einem Positivdenken zu kommen: denn jemand mit Migrationshintergrund bringt zusätzliche Erfahrungen und sprachliche Fähigkeiten mit.
Bis Menschen mit Migrationserfahrung in angemessenem Umfang im Journalismus tätig sein werden, werden noch viele Jahre vergehen, denn gesellschaftliche Veränderungen sind aus mehreren Gründen langwierig. Der Anteil von MigrantInnen in Medienredaktionen ist heute zumindest ähnlich weit entfernt von deren Stärke in der Gesamtgesellschaft.

Sind Sie der Meinung, dass Menschen ohne Migrationshintergrund diese Kritikpunkte überhaupt wahrnehmen?
Dem Großteil des Publikums fällt es nicht auf, vermute ich. Es wird etlichen wahrscheinlich schon auffallen, wenn die Programme künftig kulturell bunter werden. Aber, ich denke, der Großteil wird darauf nicht mit Ablehnung reagieren. Im Alltag sind sie ja ohnedies mit der Vielfalt konfrontiert und die, die sich darüber aufregen, werden wahrscheinlich trotzdem weiter zusehen. Medien, die nicht auch zu einem gewissen Teil für Kontroversen sorgen, werden eher mit Ignoranz bestraft. Es geht weder darum, jemanden vor den Kopf zu stoßen noch Dinge zu verschönern. Vieles ist zum einen nicht so dramatisch, wie es momentan durch Teile der Politik vermittelt wird, und anderes wiederum sehen wir gar nicht, weil der Zugang einfach nicht gegeben wird.

Zur Person:

Prof. Dr. Fritz Hausjell
Prof. Dr. Fritz Hausjell

Ao.Univ.Prof. Dr. Fritz Hausjell
Jahrgang 1959; Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft sowie Pädagogik an den Universitäten Salzburg und Wien
Herausgeber und Autor mehrerer Buchveröffentlichungen sowie Autor zahlreicher Aufsätze in wissenschaftlichen Sammelbänden und Fachzeitschriften, besonders zu den Bereichen Exiljournalismus, Medien- und Kommunikationspolitik des Nationalsozialismus, Journalismusentwicklung in der Zweiten Republik, Neonazismus und Rassismus im medialen Kontext, Migration und Medien, aktuelle Medienpolitik, Arbeitsfeld Journalismus und Behinderung sowie Fachgeschichte.
Mitherausgeber der Fachzeitschriften Medien & Zeit sowie Rundfunk und Geschichte, weiters Editorial Board-Mitglied des Medien-Journals. Lehrt als ao. Universitätsprofessor hauptberuflich Publizistik- und Kommunikationswissenschaft am gleichnamigen Institut der Universität sowie nebenberuflich an der Fachhochschule St. Pölten.

Interview: Marie-Christin Hat, Stellvertretende Chefredakteurin bei Medieninsider.at

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