„Korrespondenten haben wie Botschafter gelebt“

-Der langjährige ORF-Auslands- korrespondent und China-Experte Dr. Helmut Opletal im Gespräch-
Helmut Opletal blickt auf eine beeindruckende journalistische Karriere zurück. Als Auslandsberichterstatter diente er dem ORF fast 34 Jahre, verfasste Artikel für unzählige österreichische und deutsche Zeitungen und war immer wieder bei wichtigen, geschichtlichen Ereignissen am Schauplatz. Neben seinem Journalismus über China berichtete er von afrikanischen Bürgerkriegen und über die rumänische Revolution. In der jüngeren Zeit war Opletal für diverse Ö1-Journale bekannt. 2009 legte er seine journalistische Arbeit zurück und hat seitdem eine Gastprofessur für Sinologie an der Universität Wien inne. Mit Medieninsider.at spricht er über seine Karriere, die Vergangenheit und Zukunft des Korrespondenzjournalismus und inwiefern die Arbeit seinen Blick auf die Dinge verändert hat.

Medieninsider.at: Herr Opletal, wie hat Ihre journalistische Karriere begonnen?
Dr. Helmut Opletal: Meine journalistische Arbeit begann 1974 in meiner Zeit als österreichischer Auslandsstudent in Peking. Dadurch war ich Teil einer der ersten Gruppen von Ausländern, die inmitten der abklingenden Kulturrevolution nach China durften. Ich hatte in Wien Publizistik und Politikwissenschaften studiert, in China traf ich eine Gruppe österreichischer Journalisten, die von der chinesischen Regierung eingeladen waren. Ein Redakteur der Oberösterreichischen Nachrichten bot mir damals an, Berichte vom chinesischen Alltag zu schreiben.  Als ich wieder in Österreich zurück war, setzte ich meine Arbeit bei den OÖN fort.
Zum ORF kam ich, als ich 1976 zusammen mit Horst Friedrich Mayer (langjähriger ZIB-Moderator, Anm.) an einer China-Reise teilnahm, da dieser meine Expertise und Sprachkenntnisse im Zuge der Arbeiten an einem Fernsehbericht benötigte. Später arbeitete ich in der „Zeit im Bild“-Redaktion als freier Mitarbeiter. 1979 setzte ich mir in den Kopf, als Korrespondent nach China zu gehen (lacht). Ich schickte einige meiner Artikel über China an verschiedene Zeitungen, von denen ich gehört hatte, sie suchten Korrespondenten. Bald darauf bekam ich einige Zusagen. Aus heutiger Sicht würde ich sagen, ging ich die Sache einigermaßen naiv an. Nichtsdestoweniger hatte ich mit meinen Kenntnissen über das Land und meiner journalistischen Erfahrung einfach das Richtige zu bieten. Außerdem stellte ich keine großen Zahlungsforderungen, wie die meisten meiner Kollegen. Andere Korrespondenten haben sich damals wie Botschafter verhalten, hatten Dienstwägen mitsamt Chauffeur und zahlreiche Hausangestellte. Schließlich ging ich nach Peking und wurde Korrespondent für insgesamt 7 Zeitungen sowie das ORF-Radio. Nach meinem 5-jährigen Aufenthalt in China bekam ich eine Festanstellung als Redakteur bei Ö1.

Im Zuge Ihrer weiteren Laufbahn haben Sie auch die blutige rumänische Revolution miterlebt…
Opletal: Zum damaligen Zeitpunkt waren westliche Journalisten in Rumänien undenkbar. Als sich 1989 Proteste und Unruhen bemerkbar machten, bereitete man sich in der Redaktion darauf vor, sobald es eine Möglichkeit gab, einen Reporter dorthin zu schicken. Als die Meldung kam, der Sturz Ceauşescus sei in Gange, bot sich die Chance ein Flugzeug zu nehmen, das eine Landeerlaubnis in Bukarest bekommen sollte. Ich war als einer von vier österreichischen Journalisten mit dabei. Am Flughafen wurde man mit den Worten „Willkommen im freien Rumänien“ begrüßt. In der Stadt wurde jedoch geschossen.

In all den Jahren Ihrer Tätigkeit hat sich zweifellos einiges verändert. Gibt es eine Entwicklung im Korrespondenzjournalismus?
Opletal: Die wichtigste Neuerung ist bestimmt die Entwicklung des Internets. Früher musste man vor Ort sein, um zu wissen was in einer Region vorging. In der heutigen Zeit ist der Zugang zu aktueller Information unbeschwerter geworden. Die Schwierigkeit liegt in der Bewertung dieser Fülle an Material, das einem zur Verfügung steht. Insofern ist es nach wie vor wichtig Journalisten vor Ort zu haben. Nicht unbedingt um Informationen zusammenzutragen, die man im Internet auch bekommt, aber um sie einzuordnen. Direktes Recherchieren, Nachprüfen und mit Menschen am Schauplatz zu reden ist deshalb unerlässlich.

Ist der Beruf des Auslandskorrespondenten durch das Internet und soziale Medien gefährdet? Wird er gar abgeschafft?
Opletal: Es gibt durchaus eine gewisse Tendenz. Nachdem das Geld nicht mehr so locker fließt wie noch vor 30 Jahren, und viele Chefredakteure der Meinung sind, man finde alles Nötige im Internet, werden an diesen Stellen Einsparungen vorgenommen. Das Fernsehen ist durch seine Abhängigkeit von Bewegtbildern immer noch gewissermaßen abhängig von Korrespondenten, jedoch müssen sich Zeitungen und Radiostationen oft überwinden, Journalisten in fremde Regionen zu schicken. Das Kriterium eines Qualitätsjournalismus, eigenrecherchierte Beiträge zu produzieren, ist schließlich nicht überall verbreitet. Darunter leidet natürlich der Journalismus. Jedoch steht der ORF in dieser Sache im europäischen Vergleich noch recht gut da.

Finden sie es problematisch, dass Medienkonsumenten von Korrespondenten im Ausland ein oft subjektiv gefärbtes Bild der Lage vermittelt bekommen? Vor allem, wenn nur wenige Journalisten zugegen sind?
Opletal: Meiner Meinung nach, gibt es den zu 100% objektiven Journalismus nicht. Es ist zu einem gewissen Grad die Aufgabe eines Korrespondenten, einen persönlichen Blickwinkel zu haben, zu bewerten und Fakten einzuordnen. Aber um seriös zu bleiben, muss man sich an ethische Grundsätze halten. Das bedeutet, ein Journalist muss sich zudem an die Fakten halten, seine Quellen offenlegen können und nachvollziehbare Schlüsse ziehen. Mit derlei Herangehensweise kann diese natürliche Subjektivität, die in der Berichterstattung eines Korrespondenten liegt, zu einem gewissen Grad relativiert werden. Dabei bleibt der Journalismus für den Konsumenten interessant und verlässlich.

Sind sie hinsichtlich dessen mit dem aktuellen Korrespondenzjournalismus zufrieden?
Opletal: Ich nehme durchaus, um die aktuelle Berichterstattung aus Syrien zu thematisieren, eine Tendenz der Journalisten wahr, sich unkritisch auf die Seite der Opposition zu schlagen. Dies geschieht ohne, dass gewisse Probleme der Opposition wie Islamismus berücksichtigt werden. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass die syrische Opposition Unwahrheiten über die Regierung oder vermeintliche Massaker verbreitet, um auf Unterstützung aus dem Ausland zu setzen. Hier gilt es vorsichtig zu sein, und derartige Meldungen zu hinterfragen.
Ich finde, eine der wichtigsten Aufgaben des Journalismus ist es, Klischees zu entkräften. Es passiert unheimlich schnell, dass sich Stereotype nach dem Muster „Gut – Böse“ einbürgern. Diese Schwarz-Weiß Malerei ist nicht nur ein Problem des Boulevard. Es liegt an den Berichterstattern zu relativieren und hintergründig zu beleuchten.

Im Laufe Ihrer Karriere sind Sie viel in der Welt herumgekommen und haben mehrmals aus Krisenregionen berichtet. Haben Sie sich dabei schon in lebensbedrohlichen Situationen wiedergefunden?
Opletal: Vorweg muss ich sagen, ich habe mich nie als Kriegsreporter gefühlt. Ich habe auch nie den Nervenkitzel der Kriegsreportage gesucht. In meiner Arbeit war es mir wichtig, das politische Umfeld einer Krisenregion zu beleuchten anstatt diverse Kämpfe zu thematisieren. Selbstverständlich ist man als Journalist in Krisengebieten einem höheren Risiko ausgesetzt, aber die Kriegsberichterstattung habe ich stets gemieden. In meinem Fall war die Gefahr, in Afrika bei einem Autounfall meine Gesundheit zu riskieren größer als in einer Krisensituation. Direkte Bedrohung habe ich nie erlebt.

Nach allem, was Sie erlebt haben, finden Sie Österreich nicht langweilig?
Opletal: Journalistisch hat mich die österreichische Innenpolitik nie interessiert, was nicht bedeutet, dass ich mich nicht mit ihr beschäftige. Innenpolitisch als Journalist zu arbeiten hat mich stets weniger gereizt als aus der weiten Welt zu berichten. Eine große Motivation meiner Arbeit war es immer, Neues zu entdecken und dies Radiohörern und Fernsehzuschauern bei uns zu vermitteln. Ich glaube, dass ich viele Jahre im Ausland verbracht habe, die Gelegenheit hatte andere Gesellschaften intensiv kennenzulernen und mit vielen der negativen Seiten der Welt konfrontiert war, hat mein Auge geschärft auf das, was in Österreich passiert. Man lernt Dinge schätzen, die man in der eigenen Gesellschaft zuvor nicht beachtet hat, und nimmt oftmals Probleme, die die österreichischen Tageszeitungen füllen, als vergleichsweise belanglos wahr. Während meiner gesamten journalistischen Laufbahn habe ich es als meine Aufgabe erachtet, den Blick meines österreichischen und deutschen Publikums auf die Welt zu schärfen, und ein etwas komplexeres Bild auf die Welt zu liefern, als dies durch Klischees und Stereotype vermittelt wird.